Ulrich Rückriem Visions of Beauty

Der 1938 in Düsseldorf geborene Ulrich Rückriem gilt als einer der bedeutendsten deutschen Bildhauer. Sein dezidiertminimalistisches Konzept prägt die Skulpturen des gelernten Steinmetzes seit über 40 Jahren. Bekannt ist er vor allem durchseine häufig mehrteiligen Arbeiten aus großformatigen Steinblöcken, die man auch im öffentlichen Raum – etwa in Parks oder auf innerstädtischen Plätzen – antreffen kann.

Die zwei Hauptthemen in Rückriems Oeuvre sind das System der Teilung mitanschließender Zusammenfügung (ähnlich z.B. Vera Röhms Ergänzungen) sowie das Gleichgewicht zwischen Form, Material und sichtbarem Arbeitsprozess.

Viele von Rückriems Arbeiten folgen dem sogenannten ›Teilungssystem‹: Die Steinblöcke werden – oft symmetrisch – und zum Teil mehrfach geteilt und anschließend wieder zu ihrer ursprünglichen Form zusammengesetzt. Für die Teilung der Blöcke bedient sich der Künstler streng architektonischer Regeln. Die vier Grundprinzipien der Bearbeitung, die Rückriem zur Anwendung bringt, sind Spalten, Sägen, Schleifen und Polieren.

Im Gegensatz zu anderen Bildhauern, die die Grundform eines Steins meist stark verändern, bildet bei Rückriem der Block, der aus dem Steinbruch herrausgelöst wird, bereits die geplante Form der fertigen Skulptur. Zwar wird der Block geteilt und bearbeitet, abschließend jedoch wieder zu seiner ursprünglichen Form zusammengefügt. Dieses Prinzip hat der Künstler über die Jahre vielfältig variiert und weiterentwickelt.

Rückriem erklärt:

Das Material, seine Form, seine Eigenschaften und Ausmaße beeinflussen und begrenzen meine bildnerische Tätigkeit. Arbeitsprozesse müssen ablesbar sein und dürfen nicht von nachfolgenden verwischt werden. Die von mir am Material vorgenommenen Bearbeitungen bestimmen das Objekt selbst und dessen Beziehung zum neuen Standort.

Rückriem · Damenproblem

Die in unserer kommenden Ausstellung Visions of Beauty gezeigte Arbeit Rückriems (siehe Abbildung oben) ist von einem schach-mathematischen Problem inspiriert. Das sog. ›Damenproblem‹ bezieht sich namentlich auf die Schachfigur Dame und beschreibt ein mathematisches Grundproblem in folgender Situation auf dem Schachbrett: Ziel ist, 8 Damenfiguren auf einem Schachbrett aufzustellen, ohne dass eine Dame eine andere bedroht (die Figurenfarbe wird dabei ignoriert, und es wird angenommen, dass jede Figur jede andere angreifen könnte). Zu beachten ist dabei, dass eine Dame sowohl vertikal, horizontal als auch diagonal beliebig weit ziehen – und schlagen – kann.

So beschreibt auch Rückriem in seiner Arbeit Damenproblem (2013) ein Schachmodell: Acht Steinkuben stehen auf einem Schachbrett – einem Raster mit 8 x 8 Feldern. Alle 8 Steinblöcke sind als Damen zu verstehen und werden so angeordnet, dass sie sich gegenseitig nicht schlagen können. Aus mathematischer Sicht gibt es 92 Varianten, wie die Figuren auf dem Feld angeordnet werden können, ohne sich gegenseitig Gardez zu bieten. So berühren sich die Damen/die Granitblöcke weder auf einer Querlinie, noch auf einer Längslinie.

Die acht Steinkuben sind aus einem Block gefertigt, sie wurden also als zusammenhängender Riegel aus dem Steinbruch gezogen und anschließend in mehrere Kuben gesägt. Bei genauer Betrachtung erkennt man die zusammenhängende Maserung der Oberfläche. Hier zeigt sich archetypisch Rückriems Prinzip der Teilung und Zusammensetzung, das in vielen seiner Steinarbeiten Anwendung findet.

Die neue Ausstellung Visions of Beauty ist ab 25. August 2024 in der Cadoro – Zentrum für Kunst und Wissenschaft zu sehen. Neben der Arbeit von Ulrich Rückriem präsentieren wir anlässlich des 45-jährigen Galeriejubiläums der Galerie Dr. Dorothea van der Koelen in Mainz weiterhin Werke von Joseph Kosuth, Heinz Gappmayr, Fabrizio Plessi, Nam Tchun-Mo, Mohammed Kazem, David Rabinowitsch, Günther Uecker, Reinhard Roy, Sebastian Dannenberg, Wulf Kirschner, Nigel Hall, Mario Reis, Arne Quinze, Hellmut Bruch, Hans Jörg Glattfelder, Carolin Liebl & Nikolas Schmid-Pfähler und Raimund Girke sowie der jungen Künstler Philipp Neßler und Jiaqing Li auf zwei Etagen. Wir freuen uns auf Ihren Besuch.

Ich taufte die Ausstellung ›Visions of Beauty – Visionen der Schönheit‹. Denn ich möchte die Menschen mitnehmen in eine Welt, die nicht von den Entsetzlichkeiten unserer Zeit geprägt ist, die nichts Zerstörerisches an sich hat, die No Sex, No Crime, No Kitsch bietet, sondern sie stattdessen entführt in eine Welt voller Schönheit, voller Frieden, voller Freiheit der Gedanken, in eine Welt der Kunst, in der sie mit ihrer Phantasie spazierengehen können.

Dorothea van der Koelen