Joseph Kosuth Visions of Beauty

26. September 2024
Joseph Kosuth auf YouTube
15:27

Joseph Kosuth

Die Werke aus der Wittgenstein-Serie belegen Joseph Kosuths langjährige Auseinandersetzung mit den Theorien des österreichischen Philosophen. Der amerikanische Begründer der ›Konzept-Kunst‹ erforschte die sprachliche Ebene der Aussagen Wittgensteins in unterschiedlichen Kontexten. Kosuth war stets bestrebt, eine Theorie und Praxis der Kunst zu entwerfen, die eher dynamisch als illustrativ sein sollte, und bei der der Künstler zum engagierten Protagonisten in der Untersuchung und Analyse umstrittener Bedeutungen wird. In der CADORO präsentiert er das von Wittgenstein inspirierte Werk #II49. (On Color/Multi #7) (Neon-Installation in 7 Farben mit dem Text »II 49° The coloured intermediary between two colours«, 1991).

Wenn ›Wirklichkeit‹ durch ›Vorstellung‹ ersetzt wird, kann dies in der bildenden Kunst materiell, beispielsweise durch die Präsentation von Farbe auf Leinwand (Malerei) geschehen, oder immateriell, mit Hilfe von Begriffen (Konzeptkunst).

In der amerikanischen Konzeptkunst spielen Begriffe eine große Rolle. Sie hatte sich ab Mitte der 60er Jahre als konsequente Fortsetzung der Minimal-Art entwickelt, die bereits die Formen in Bildwerken auf Primärstrukturen reduzierte. Der persönliche künstlerische Eingriff, die Handlung und Geste waren auf ein Minimum reduziert.

Die Gestaltungselemente wurden in der Regel industriell oder zumindest systematisch hergestellt. Eine Zurücknahme der persönlichen Subjektivität des Künstlers zugunsten einer größeren Objektivität des Kunstwerks war das Anliegen dieser Kunstrichtung. Die Folge war eine wachsende Zurücknahme des Gegenständlichen aus der Kunst bis hin zur Entmaterialisierung. In der Konzeptkunst musste das Kunstwerk nicht mehr real zu existieren, sondern konnte allein in der Vorstellung bestehen. Mit der Gleichrangigkeit des durch den Künstler hergestellten Kunstwerks mit dem Kunstwerk, das durch einen Anderen hergestellt wird einerseits und mit dem nicht-hergestellten Kunstwerk, das im Stadium der Idee verbleibt andererseits hatte die Konzeptkunst ihren Zenit erreicht.


Joseph Kosuth - #II49. (On Color/Multi #7)

#II49. (On Color/Multi #7) · 1991

Einen bedeutenden Beitrag zur Konzeptkunst leistete Joseph Kosuth mit seiner Arbeit One and Three Chairs von 1965. Zu sehen sind ein Stuhl, die Photographie eines Stuhles in Originalgröße, sowie die Lexikon-Definition für den Begriff ›Stuhl‹. Die Unterschiedlichkeit der Wirklichkeit von Abbild und Begriff wird betont, die Wirklichkeit einer Idee thematisiert. Eine Qualität wird zum Bildthema: die Kategorialität des Begriffes ›Wirklichkeit‹. Joseph Kosuth verwendet einen Gegenstand, nämlich einen Stuhl, um den kategorialen Begriff ›Wirklichkeit‹ sichtbar zu machen und gebraucht Begriffe, um ein Konzept – also seine Idee – zu visualisieren. Der Unterschied zu Gappmayr besteht darin, daß diese Begriffe erläutert werden. Bei dem Stuhl-Beispiel verwendet Kosuth, charakteristisch für sein Werk in der Mitte der 60er Jahre, eine Lexikon-Definition. Kosuth präsentiert den Begriff ›Stuhl‹ dem Betrachter also nicht wie einen Gegenstand, sondern zusammen mit einem Gegenstand.


Joseph Kosuth - One and Three Chairs

One and Three Chairs · 1965

In den früheren Arbeiten von Joseph Kosuth orientieren sich die Vorstellungen und Erscheinungen, die evoziert werden, noch an Phänomenen der Wirklichkeit. Für diese Gruppe von Arbeiten muß der Bezug zur Sprachphilosophie Wittgensteins hervorgehoben werden, der Kosuth sich insbesondere verpflichtet fühlt. Abstrakte Begriffe wie ›Gleichheit‹ oder ›Farbe‹ werden mit deutlichem Bezug zum Tractatus Logico-Philosophicus über die Mittel eines visuellen Umganges mit Sprache demonstriert. In der Art der Präsentation illustrieren sie sich selbst.

Daher ist es folgerichtig, daß die Arbeit On Color aus dem Jahre 1990 in vier Farbvariationen entstanden ist: gelb, rot, violett und grün. Der Paragraph 276 über die Farbe, aus Ludwig Wittgensteins Tractatus Logico-Philosophicus, wird hier zur Grundlage einer Neon-Installation von Joseph Kosuth, die über den Begriff der ›Farbe‹ die Relativität unserer Wahrnehmungen sichtbar macht. Das Thema sind Qualität und Wirkung der Farbe. Abstrakt und von der Hierarchie her betrachtet, sind ›rot‹ und ›gelb‹, enstprechend ›violett‹ und ›grün‹, als Farben gleichrangig zu setzen. (Kosuth wählt für die Realisation seiner Vorstellungen zwei Primär- und zwei Sekundärfarben.)


Joseph Kosuth - #276 On Colour Red (After Augustine)

#276 On Colour Red (After Augustine) · 1990

Trotzdem unterscheiden sich die subjektiven Wirkungen, da alle vier Farben unterschiedliche Vorstellungen in unserem Bewußtsein und andere Empfindungen in unserer Seele hervorrufen. Sind zwei Farbvariationen dieser Arbeit nebeneinander bzw. gegenüber gestellt, wird durch visuelle Wahrnehmung empirisch erkennbar, was in abstrakter Form mit Worten und Sprache intellektuell zum Ausdruck gebracht wird.

Die Wirklichkeit der Farbe präsentiert sich in diesem Werk parallel auf zwei Ebenen zugleich, der intellektuellen und der visuellen. Während der Betrachter die Worte der Neonschrift liest und gedanklich verarbeitet, geschieht mit ihm empirisch genau das, was er lesend wahrnimmt: die Wirklichkeit der Farbe wird über ihre Wirkung erfahren.



Dr.  Dorothea  van der Koelen

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