Christo & Jeanne-Claude

Zum 90. Geburtstag – 28. September 2025 CADORO Mainz

 

Kunst im Raum der Freiheit

2025 ist das Jahr der Jubiläen, der runden Künstlergeburtstage und – wie bei Christo und Jeanne-Claude – auch bedeutender Projekte im öffentlichen Raum, wie beispielsweise 40 Jahre Verhüllung Pont Neuf in Paris (1985), 30 Jahre Verhüllung des Reichstags in Berlin (1995) – eines der in Deutschland spektakulärsten Kunstereignisse) – und 20 Jahre The Gates im Central Park in New York (2005).

So zeigen wir zu unserem diesjährigen Sommerfest in der CADORO eine Ausstellung mit sämtlichen der herausragenden Projekte dieses besonderen Künstlerpaares, in verschiedensten Techniken von einfachen signierten Drucken bis hin zu Unikat-Collagen, von einem Künstlerpaar, das ich die Ehre hatte kennen zu lernen, mehrfach in New York zu besuchen, in Berlin anlässlich der Reichstagverhüllung wieder zu sehen und in meiner Dissertation Anfang der 90er Jahre ein paar Zeilen zu verfassen.

Christo (1935–2020) und Jeanne-Claude (1935–2009) gehören zu den außergewöhnlichsten Künstlerpaaren des 20. und 21. Jahrhunderts. Ihre monumentalen Kunstwerke – spektakuläre Verhüllungen von Gebäuden, Landschaften und Infrastrukturen – haben weltweit für Aufsehen gesorgt und die Grenzen zwischen Kunst, Architektur und Umwelt neu definiert. Gerne werden sie der ›Landart‹ zugeordnet, einer Kunstrichtung, die in den ausgehenden 60ern und frühen 70er Jahren in den USA parallel zur ›Minimal Art‹ entsteht. Nicht Papier und Leinwand, sondern Gebäude und Landschaften werden, temporär, in Gesamtkunstwerke verwandelt. Ihre Werke waren stets temporär, nicht käuflich und frei zugänglich – und dennoch hinterließen sie bleibende Eindrücke im kollektiven Gedächtnis. Die Finanzierung erfolgte unabhängig von Sponsoren oder sonstigen Geldgebern allein durch den Verkauf von Zeichnungen, Collagen und Modellen, wodurch sie sich absolute künstlerische Freiheit bewahrten.

Christo & Jeanne-Claude verband eine lebenslange Partnerschaft – privat wie künstlerisch. Am selben Tag (13. Juni) im selben Jahr (1935) an verschiedenen Orten geboren verband die beiden Künstlerpersönlichkeiten vom ersten Tag ihrer Begegnung an nicht nur eine tiefe innerliche Verbundenheit und Freundschaft, sondern zugleich das Gefühl in dem anderen die Vervollständigung seiner selbst zu erleben – so wie es im Gastmahl von Agathon von Platon beschrieben wird.

Ihre Arbeiten sind Sinnbilder für Vision, Ausdauer und Teamarbeit. In einem oft jahrelangen Genehmigungsprozess standen sie im Dialog mit Behörden, Anwohnern, Ingenieuren und Kritikern – mit dem Ziel, Kunst im öffentlichen Raum zu verwirklichen, die Menschen überrascht, berührt und zum Staunen bringt. Zu staunen. Und zu erkennen, dass Kunst nicht ewig sein muss, um Wirkung zu entfalten.

Und vielleicht liegt darin ihr größtes Geschenk: Sie haben uns gezeigt, wie flüchtig Schönheit sein kann – und wie tief sie sich dennoch in unser Gedächtnis einschreibt.

Nicht nur dass Aristoteles in dem ›Staunen‹ den ›Ursprung menschlichen Philosophierens‹ sieht, wie er in seiner Metaphysik deutlich beschreibt, das Staunen war seinerzeit in Berlin so unmittelbar erlebbar, dass es sich ins kollektive Gedächtnis unauslöschbar eingeschrieben hat. Die Berliner waren zu dieser Zeit – wenige Jahre nach dem Fall der Mauer – noch nicht auf Gemütlichkeit, Frohsinn und Fröhlichkeit ausgerichtet. Argwohn und Skepsis, Bedrohung, Distanz und Unfreundlichkeit prägten den Umgang und die Stimmung der Menschen untereinander …

… und dann gab es das Ereignis des Verhüllten Reichstags. Es war ein Geschenk von Christo und Jeanne-Claude an die Menschheit, ein Geschenk von Schönheit, Freiheit und Friedlichkeit. 6 Millionen Menschen kamen damals in den Genuss dieses Kunstereignisses, das die (Berliner) Welt veränderte. Es gab keine Demonstrationen, keine Aggressionen. Die Menschen waren einfach nur glücklich, umarmten sich, feierten die Schönheit. Alles Schreckliche der Vergangenheit und Gegenwart war in diesen Tagen vergessen …

Ihre Kunst ist kein permanentes Objekt, sondern ein Ereignis – ein Moment des Staunens im Alltag. In einer Zeit, die zunehmend von Schnelligkeit und Digitalisierung geprägt ist, erinnern ihre Werke an die Kraft der gemeinsamen Erfahrung, der analogen Begegnung mit Raum, Licht und Stoff. Christo und Jeanne-Claude haben den öffentlichen Raum neu gedacht. Ihre Kunst war nie elitär, nie abgeschlossen. Sie war offen für alle – und für alle Sinne. Sie haben Berge, Küsten, Brücken, Gebäude und Wege in eine andere Realität gehüllt. Für wenige Tage oder Wochen – und doch mit monatelanger, oftmals jahrelanger Vorbereitung. Was viele nicht sehen: Hinter der scheinbaren Leichtigkeit ihrer Werke steckt eine immense Beharrlichkeit, ein eiserner Wille – und ein tiefes Vertrauen in die Kraft der Kunst, Menschen zu berühren, ohne Worte, ohne Besitzanspruch. Es sind monumentale Kunstwerke, die nicht durch Dauerhaftigkeit beeindrucken, sondern durch ihre Vergänglichkeit – und gerade deshalb unvergesslich bleiben.

Die Fotografien von Wolfgang Volz, die Collagen und Zeichnungen von Christo, die in den verschiedensten Drucktechniken realisierten Vorstudien und Zeugnisse ihrer wunderbaren Weltveränderungen sind Teil dieser Ausstellung in der Cadoro wo sämtliche wegweisenden und sich tief in die Erinnerung des kollektiven Gedächtnisses eingeschriebenen Aktionen bildnerisch manifestieren.

So gibt es Werke zum Running Fence in Kalifornien (1976), zu den Surrounded Islands in Miami (1983), zu dem Pont Neuf in Paris (1985), den Umbrellas in Japan und USA (1991), dem Reichstag in Berlin (1995), den Gates in New York (2005), den Floating Piers am Iseo See (2016) in Italien und dem Arc de Triomphe in Paris (2021). Zudem gibt es ein Modell zu dem frühen Wrapped Store, dazu verhüllte Skulpturen und Autos und natürlich die Installation im Museum Würth, wodurch ich letztlich auf den Sammler Reinhold Würth aufmerksam wurde mit dem mich in Folge eine tiefe und inzwischen mehr als 25-jährige Freundschaft verband und verbindet.

Christo & Jeanne-Claude haben mit ihren ephemeren Projekten ein nachhaltiges Erbe hinterlassen – eines, das zeigt, wie Kunst neue Perspektiven auf die Welt eröffnet und dabei den öffentlichen Raum als Ort der Freiheit und Fantasie zurückerobert.



Dr.  Dorothea  van der Koelen

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